Sexarbeiter*innen in Zeiten der Pandemie

Sexarbeiter*innen wurden von der Covid19-Pandemie besonders hart getroffen. Neben monatelangen Tätigkeitsverboten gab und gibt es in dieser Zielgruppe viele Personen, die durch alle Raster der Unterstützung gefallen sind, da sie z.B. keine Ansprüche auf staatliche Leistungen hatten oder die Hürden zur Beantragung viel zu hoch waren. Hier hat u.A. Hydra mit einem spendenfinanzierten Hilfsfonds vieles aufgefangen, was Aufgabe des Staates gewesen wäre.

Welche Maßnahmen planen Sie, um Sexarbeiter*innen in Berlin zu unterstützen und ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen zu verbessern? Wie kann besonders marginalisierten Sexarbeiter*innen (insbesondere migrantisierte Sexarbeiter*innen, trans Sexarbeiter*innen) in der Pandemie und danach bessere Unterstützung zuteilwerden?

Am 13. Februar 2021 beschloss der Landesausschuss der Berliner LINKEN den Antrag „Gegen die Stigmatisierung von Sexarbeit, für faire Arbeitsbedingungen!“. Darin bekräftigen wir unsere Forderungen nach mehr Rechten und Respekt für Sexarbeitende. Es müssen die  Rahmenbedingungen und ein gesellschaftliches Klima geschaffen werden, in dem Sexarbeitende als Subjekt ernst genommen und ihre Wünsche und Bedürfnisse entsprechend gehört und respektiert werden.

Es braucht bezahlbare Wege in die Sozialversicherungssysteme, wie für alle Selbstständigen und gemeinsam mit den Verbänden  ausgehandelte, gesetzlich zu verankernde Mindeststandards (Sicherheit, Hygiene oder Miethöhe) für die unterschiedlichen Arten von  Prostitution. Wir setzen uns für den Ausbau und die Finanzierung von aufsuchenden Beratungs- und Informationsangeboten in  verschiedenen Sprachen für Prostituierte sowie auf freiwillige anonyme Inanspruchnahme gerichtete Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten bei sexuell übertragbaren Krankheiten (STI) ein. Darüber hinaus unterstützt DIE LINKE. Berlin den Ausbau und die Finanzierung von Peer-Projekten, um Beratung auf Augenhöhe für Sexarbeitende zu ermöglichen.
 

Wir setzen uns dafür ein, dass Sexarbeit in Berlin stärker als bisher selbstbestimmt, sicher und unter guten Arbeitsbedingungen stattfinden kann. Hierfür wollen wir die Einstiegs- und Umstiegsberatung und mehrsprachige Kontaktstellen ausbauen sowie bei der Gesundheitsberatung und -versorgung nachbessern, dabei müssen insbesondere auch die Rechte und Bedürfnisse von migrantisierten Sexarbeiter*innen sowie von trans, inter und nichtbinären Sexarbeiter*innen berücksichtigt werden. Wir setzen uns für einen erleichterten Leistungsbezug bei den Jobcentern und Zugang zur Gesundheitsversorgung sowie für die Abschaffung des stigmatisierenden „Prostituiertenschutzgesetzes“ auf Bundesebene ein. Essentiell ist, dass hierbei die Expertise und die Erfahrungen von Sexarbeiter*innen einbezogen werden.

Die besonders prekäre und vulnerable Situation von Sexarbeitenden während der Pandemie – insbesondere auf der Straße – war und ist uns bewusst. Hier haben wir uns im Rahmen unserer parlamentarischen Möglichkeiten immer wieder dafür eingesetzt, dass die Verwaltungen zumindest partiell unkomplizierte Hilfen über Projektträger ermöglichen. Zudem haben wir den Einsatz von repressiven Mitteln gegenüber den zuständigen Sicherheitsbehörden problematisiert.
 

Seit 2016 müssen sich Sexarbeitende in Berlin offiziell registrieren und eine Gesundheitsberatung durchlaufen. Für die Arbeit im Bordell ist eine Anmeldung und ein entsprechender Ausweis Pflicht. Registrierte Prostituierte konnten die CoronaSoforthilfe beantragen. Wer nicht registriert ist hat dieses Anrecht nicht. Die Partei der Freien Demokraten plädiert daher, sich als Sexarbeiterin oder Sexarbeiter registrieren zu lassen.
 

Sexarbeit ist kein Beruf wie jeder andere. Die Besonderheiten und Gefahren dieses Gewerbes, die Sicherheit im Arbeits-, Sozial- und Strafrecht sowie die weitere Entstigmatisierung sind stets im Blick zu behalten – dies gilt auch und gerade in der Pandemiezeit. Viele Sexarbeiter:innen sind von den pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen besonders hart getroffen. Deshalb haben wir uns dafür eingesetzt, dass alle Solo-Selbstständigen und Kleinunternehmen finanzielle Unterstützung erhalten – dazu gehören Sexarbeiter:innen ebenso wie Bordelle und Sexstudios. Im Rahmen der regulären Sozialleistungen sowie der zusätzlichen Corona-Hilfspakete für Solo-Selbstständige gibt es bereits staatlich geförderte ökonomische Hilfen für Sexarbeitende: Sexarbeitende können Sozialleistungen in den zuständigen Ämtern und Job-Centern beantragen. Die Bundesagentur hat während der Pandemie eine Weisung an die Job-Center erlassen, wonach die Neuantragstellung und Weiterbewilligung von Grundsicherung deutlich vereinfacht werden. Auch die Wirtschaftshilfen der IBB für Solo-Selbstständige i.H.v. 5.000 Euro konnten von Sexarbeitenden beantragt werden.

Der Zugang zu den staatlichen Hilfen ist jedoch für die diverse Zielgruppe der Sexarbeitenden in Berlin nicht immer ohne Hürden möglich. So sind viele Sexarbeitende aufgrund des Tätigkeitsverbotes für sexuelle Dienstleistungen mit Körperkontakt in einer prekären Notlage gelandet. Am stärksten von betroffen sind in der Zielgruppe der Sexarbeitenden beispielsweise diejenigen, die keinen Zugang zur Krankenversicherung oder keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben – öfter sind diese Frauen und Transpersonen mit unsicherem Aufenthaltsstatus. Aus diesem Grund hat der Senat unter Führung der SPD für die Finanzierung der Obdachlosenunterkunft „Pumpe“ Mittel i.H.v. 77.000 Euro zur Verfügung gestellt, um Schlafplätze für wohnungslose Sexarbeitende sicherzustellen (vgl. hierzu Drucksache 18/27310 vom 28.04.2021).

Runder Tisch Sexarbeit

Der landesweite Runde Tisch hat 2019 nach gut einem Jahr die Arbeit eingestellt, es sind keine weiteren Sitzungen geplant. Das anschließende Koordinierungsgremium kommt nur sehr selten zusammen und auch aufgrund der Covid19-Pandemie verläuft die Umsetzung der empfohlenen Maßnahmen schleppend.

Wie werden Sie sich dafür einsetzen, dass die Empfehlungen des Handlungskonzepts nachhaltig umgesetzt und die Arbeit des Runden Tisches
weitergeführt werden kann?

In 2020 sind einige Projekte mit Mitteln des Runden Tisches gestartet worden, bei Hydra sind zwei Projekte angesiedelt: Eines zur Ermöglichung eines niedrigschwelligen Zugangs zu psychotherapeutischer Unterstützung für Sexarbeiter*innen und eine Kampagne zur Entstigmatisierung von Sexarbeit. Mit diesen Projekten wurde begonnen, Versorgungslücken zu schließen und die Stimmen von Sexarbeiter*innen im Diskurs sichtbarer  zu machen. Diese Projekte müssen auch ab 2022 unbedingt fortgesetzt werden.

Setzen Sie sich in den kommenden Haushaltsverhandlungen dafür ein, dass diese Projekte weiterhin gesichert finanziert und zusätzliche Projekte umgesetzt werden können?
 

Das uns vorliegende Handlungskonzept des Runden Tisches Sexarbeit enthält eine Vielzahl von Vorschlägen, um die Arbeits- und  Lebensbedingungen für Sexarbeitende in Berlin zu verbessern. Stück für Stück sollte es jetzt darum gehen, die Erkenntnisse und den begonnenen Abstimmungsprozess der Akteur:innen zu verstetigen. Es braucht dringend ein weiterführendes Koordinierungsgremium mit Teilnehmenden aus Verwaltung, NGO’s, Sexarbeitenden, Betreibenden etc., welches fortbesteht und die praktische Umsetzung des  Handlungskonzeptes mit begleitet. Wir sind der Meinung, dass durch dieses Gremium der Austausch zwischen den beteiligten Akteur:innen langfristig sichergestellt und zukünftige Konflikte vermieden werden können. Für die Umsetzung der Empfehlungen des Runden Tisches Sexarbeit braucht es finanzielle Ressourcen für das Haushaltsjahr 2022/23 sowie eine weiterführende Sensibilisierung in der Verwaltung und  den Ordnungsbehörden.

DIE LINKE. Berlin wird sich dafür einsetzen, dass Mittel und die Erkenntnisse es Runden Tisches Sexarbeit zur Verfügung gestellt sowie angewandt werden. Bestehende Strukturen für Sexarbeitende müssen gestärkt, Versorgungs- und Beratungslücken geschlossen und  finanzielle Mittel zur Umsetzung des erarbeiteten Handlungskonzeptes bereitgestellt werden.

Mit Blick auf Sexarbeit im öffentlichen Raum ist es unerlässlich, den Dialog zwischen Sexarbeiter*innen, Beratungsstellen und Anwohnenden  zu stärken, um Stigmatisierung und Diskriminierung von Sexarbeiter*innen entgegenzuwirken. Der von uns unter Rot-Rot-Grün einberufene Runde Tisch Sexarbeit hat ein Handlungskonzept vorgelegt, dessen Umsetzung wir weiter vorantreiben, evaluieren und nach Bedarf anpassen wollen,  um die Rechte und Arbeitsbedingungen von Sexarbeiter*innen zu verbessern. Einsatzkräfte und Beamt*innen im Kontakt mit Sexarbeiter*innen  müssen Weiterbildungen zu diskriminierungssensiblem Umgang absolvieren.

Der Haushaltsentwurf des Senats für die Jahre 2022/2023 sieht eine erhebliche Kürzung der Mittel für den Runden Tisch Sexarbeit vor. Damit  müssten wichtige und erfolgreiche Projekte der Unterstützung, Beratung und des Empowerments von Sexarbeitenden, die zum Teil erst vor kurzem gestartet wurden und ihre Arbeit aufgenommen haben, sowie der aufsuchenden Sozialarbeit reduziert oder sogar komplett  abgewickelt werden. Wir halten das für einen handfesten Skandal und werden diese Kürzungen nicht hinnehmen. Im Rahmen der  parlamentarischen Haushaltsberatungen, die voraussichtlich zu Beginn des kommenden Jahres beginnen werden, werden wir uns  selbstverständlich für eine Rücknahme der Kürzungen und eine Verstetigung der Projekte einsetzen.

Wir werden uns dafür einsetzen, dass zielführende Empfehlungen umgesetzt werden können.

Die Partei der Freien Demokraten wird sich auch zukünftig in den Haushaltsverhandlungen dafür einsetzen, dass entsprechende Projekte  finanziell gefördert werden und eine entsprechende Personalausstattung erhalten, um ihre wichtige Arbeit weiterhin durchführen zu können.

Die Berliner SPD hat sich dafür eingesetzt, im Doppelhaushalt 2020/2021 Mittel zur Umsetzung der am Runden Tisch Sexarbeit entwickelten Maßnahme in Höhe von 500.000 Euro pro Jahr zu verankern. Von den insgesamt 500.000 Euro sind 300.000 Euro für bezirkliche Maßnahmen und 200.000 Euro bei der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung etatisiert. Auch in der kommenden Legislaturperiode werden wir uns weiterhin dafür einsetzen, dass die Handlungsempfehlungen umgesetzt werden und hierfür eine ausreichende Finanzierung sichergestellt wird.
 

Migrantische Sexarbeiter*innen aus Drittstaaten

Personen, die aus Drittstaaten nach Deutschland einreisen und hier selbstständig der Sexarbeit nachgehen, haben unter diesen Voraussetzungen  aktuell kaum die Möglichkeit dies legal mit einem Arbeitsvisum zu tun. Durch den Brexit hat sich der Personenkreis, der von diesen  Einschränkungen betroffen ist, noch einmal dramatisch erhöht, wie wir auch durch zahlreiche Anfragen in der Beratungsarbeit feststellen.

Wie wird sich ihre Partei dafür einsetzen, dass migrantische Sexarbeiter*innen die Möglichkeit bekommen, legal in Deutschland der Sexarbeit nachzugehen?

In unserem Bundeswahlprogramm von 2021 heißt es dazu: „Die Wirtschaft basiert vielfach auf der Ausbeutung und auf schlechten  Arbeitsbedingungen von Migrant:innen mit oft prekärem Aufenthaltsstatus und teilweise eingeschränkter gesundheitlicher Versorgung. Diese rechtlichen und sozialen Diskriminierungen müssen abgebaut werden. Es braucht Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse unabhängig von  Beschäftigungsdauer und Arbeitgeber*in. Wir fordern Legalisierungsmöglichkeiten für Menschen ohne Aufenthaltsstatus und effektive Bleiberechtsregelungen für Menschen, die in einem unsicheren Aufenthaltsstatus oder mit Kettenduldung leben müssen.“

Wir sind der Überzeugung, dass Persönlichkeits-, Freiheits- und Selbstbestimmungsrechte, der diskriminierungsfreie Zugang zu Gesundheits- und Sozialdienstleistungen und weitere soziale und wirtschaftliche Rechte, Schutz vor Ausbeutung, Gewalt, Erpressung und anderen  Übergriffen – allen gleichermaßen zusteht, also auch Sexarbeiter:innen. Wir fordern Legalisierungsmöglichkeiten für Menschen ohne  Aufenthaltsstatus und effektive Bleiberechtsregelungen für Menschen, die in einem unsicheren Aufenthaltsstatus oder mit Kettenduldung  (die Praxis, Duldungen immer wieder zu verlängern) leben müssen. Für sie wollen wir einen sicheren Zugang zu Bildung, Gesundheit und  arbeitsrechtlichen Schutz vor Ausbeutung schaffen.

Wir müssen sicherstellen, dass sich Gesetze zur öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht zum Nachteil (eines migrantischen Teils) der  Sexarbeitenden auswirken, diskriminierend sind oder anderweitig zu Menschenrechtsverletzungen führen. Wenn Sexarbeitende z.B. derart  hohe administrative Hürden überwinden müssen, um legal arbeiten zu dürfen, dass sie wiederum in die Abhängigkeit von großen  Bordellbesitzer:innen, in die Fänge des organisierten Verbrechens oder in die Illegalität gedrängt werden, kann dies erneut zu strafrechtlicher  Verfolgung führen, aber auch zu höherer Verletzlichkeit. Deswegen fordert DIE LINKE. Berlin die Entstigmatisierung und Entkriminalisierung  des Gewerbes.

Sexarbeit ist seit Mitte 2017 durch das Prostitutionsgesetz legal. Migrantische Sexarbeiter*innen können dieser Tätigkeit legal nachgehen, wenn  sie über eine Arbeitserlaubnis verfügen, EU-oder EWR-Angehörige sind oder aus der Schweiz kommen. Wir Bündnisgrüne stehen für eine  Geflüchteten- und Integrationspolitik, in der jeder einzelne Mensch zählt. Wir verteidigen das Grundrecht auf Asyl und wollen Asylverfahren  beschleunigen, setzen uns für faire, qualifizierte und effiziente Verfahren sowie für eine nachhaltige Integrationspolitik ein.

Auch migrantische Sexarbeiter*innen haben die Möglichkeit, sich entsprechend dem Prostituiertenschutzgesetz anzumelden und dann legal  ihrer Tätigkeit nachzugehen. Wir unterstützen dies.

Das Ziel der SPD ist es, den Schutz und die allgemeinen Lebensbedingungen für Menschen, die der Sexarbeit nachgehen, zu verbessern. Mehrsprachige und niederschwellige Beratungsangebote müssen in dem Umfang und der Qualität angeboten werden, die den individuellen Notwendigkeiten und Erfordernissen der Sexarbeitende entsprechen. Wir bewerten es als dringend geboten, dass die Angebote ausgebaut  und langfristig gestärkt werden. Wir setzen uns dafür ein, dass das Aufenthaltsrecht von ausländischen Betroffenen von Menschenhandel und Zwangsprostitution nicht länger von deren Bereitschaft, im Strafverfahren gegen ihre Peiniger:innen auszusagen, abhängig ist. Wir bekennen  uns zudem weiterhin zur Verantwortung, allen Menschen in der Stadt ein Leben in Würde und ohne Angst zu ermöglichen. Kettenduldungen lehnen wir ab. Bestehende Arbeitsverbote für geduldete Menschen wollen wir daher durch eine Aufenthaltserlaubnis beenden und somit den Zugang zur Erwerbstätigkeit ermöglichen.