Zum Hauptinhalt springen

Evangelikale Prostitutionsgegner*innen bekommen Gelder vom Bundesministerium


Am 29.07.2021 hat das SPD-geführte Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend verkündet, welche Modellprojekte im Bereich Prostitution für die nächsten drei Jahre mit mehreren Millionen Euro gefördert werden.

Anfang des Jahres 2021 hatte das Ministerium aufgefordert, sich um Projekte zu bewerben, die insbesondere in Bezug auf Covid19 Sexarbeiter*innen dabei unterstützen, in andere Berufe umzusteigen. Hydra hat sich - neben vielen anderen Fachberatungsstellen - ebenfalls beworben und durchlief ein mehrstufiges und standardisiertes Auswahlverfahren. Wir haben den Zuschlag nicht erhalten, aber freuen uns sehr für die ausgewählten Organisationen in Bremen, Neunkirchen und Rostock, dass sie ihre Projekte umsetzen können.

Über das Parlament wurden zwei weitere Projekte direkt in den Haushalt eingebracht - eines in Kiel und eines unter der Trägerschaft von Neustart e.V., einem bekannten fundamentalistisch-christlichen Verein in Berlin, dessen Vorsitzender das sog. schwedische Modell der Freierkriminalisierung befürwortet.

Während gleichzeitig in Berlin die Mittel für feministische Projekte radikal gekürzt werden sollen, fördern SPD und CDU damit nun über die Bundesebene einen Verein, der Frauen in die Opferrolle drängt und "retten" will. Auch tritt er – entgegen der Fachexpertise zahlreicher Verbände – dafür ein, die Nachfrage nach Prostitution zu kriminalisieren.

Neustart hat zudem keine Erfahrung in der professionellen Sozialen Arbeit und beschäftigt fast ausschließlich Ehrenamtliche, die christlich missionieren anstatt kompetente Unterstützung anzubieten. Im bufas e.V., dem Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter in Deutschland, sind zahlreiche professionell arbeitende Beratungsstellen vertreten. Trotz unterschiedlicher und teilweise auch christlicher Trägerschaften eint diese Beratungsstellen eine akzeptierende Haltung gegenüber Sexarbeitenden, ihren Lebensumständen und ihrer Berufsentscheidung, die in der Sozialen Arbeit ohnehin Standard sein sollte. Viele dieser Beratungsstellen sind permanent unterfinanziert und von Kürzungen bedroht, die Förderung von Neustart durch den Bund sollte damit auch als eine eindeutige politische Aussage gewertet werden.

Im Netzwerk "Gemeinsam gegen Menschenhandel e.V." engagiert sich der Vorsitzende von Neustart gemeinsam mit der Gattin eines evangelikalen Pfarrers, Gaby Wentland von Mission Freedom. Dieser Verein operiert bekanntermaßen mit dubiosen Methoden und wird vom Hamburger Senat und dem dortigen Landeskriminalamt als fachlich inkompetent und unseriös eingeschätzt.

Bisher war der Konsens auch in der Berliner Verwaltung, dass eine Zusammenarbeit oder gar staatliche Förderung derartiger Organisationen untragbar ist. Aus der Senatsverwaltung für Gleichstellung in Berlin gab es daher auch keine positive Stellungnahme zu diesem Projekt - das Bundesministerium stimmte der Förderung trotzdem zu.

Wir fordern eine fachlich fundierte Auseinandersetzung mit dem Thema Sexarbeit und die Förderung von Strukturen, die diese Diskussion vorantreiben, z.B. über eine Bundesfinanzierung der Geschäftsstelle des Beratungsstellen-Dachverbandes bufas.

Weiterhin fordern wir einen Stopp der Förderung von Projekten in Trägerschaften von Vereinen, die aktiv für eine Kriminalisierung und damit Verschlechterung der Lebensumstände zahlreicher Menschen in der Sexarbeit werben. Stattdessen müssen akzeptierende, anonyme und niedrigschwellige Beratungsangebote für Sexarbeiter*innen bundesweit abgesichert und ausgebaut werden, insbesondere mit Schwerpunkt auf marginalisierten Gruppen wie z.B. trans Sexarbeitenden und durch das Prostituiertenschutzgesetz in die Illegalität gedrängte Sexarbeitende.

►Text zum Download (pdf)

Zurück