Stellungnahme zur Falschdarstellung der Arbeit von Hydra e.V. im Freitag
Am 24.4.25 veröffentlichte die Wochenzeitschrift der freitag einen Beitrag in seiner Super-Safe-Space-Kolumne über die Klage Sisters e.V. gegen Ruby Rebelde, in der sowohl der Prozess als auch unsere Arbeit von Hydra e.V. falsch dargestellt wurde. Der Artikel weist gravierende Fehlinformationen auf und fußt auf einer sehr mangelhaften Recherche.
Hydra e.V. fordert die Richtigstellung folgender falscher Aussagen:
FALSCH:
Der Artikel behauptet, die Klage von Sisters e.V. ginge gegen Hydra e.V.
RICHTIG:
Der Artikel liefert grundlegend falsche Informationen über den genannten Gerichtsprozess. Nicht einmal die involvierten Parteien kann der Artikel korrekt benennen.
Hintergrund
Die Zeitschrift „EMMA“, der Verein „SISTERS – für den Ausstieg aus der Prostitution! e.V.“ und die GbR „Netzwerk Ella“ mahnten Sexarbeiter*in und Anti-Diskriminierungstrainer*in Ruby Rebelde ab und forderten Rebelde auf, eine strafbewehrte Unterlassung zu unterzeichnen. Sie störten sich an einer Einschätzung Rebeldes, die u.a. den Begriff „Prostitutionslobby“ als strukturell antisemitisch einordnete. Der populistische und verschwörerische Begriff wird u.a. von Sisters e.V. genutzt, um Stimmen für eine liberale Prostitutionsgesetzgebung zu diskreditieren. Statt sich mit dieser Einordnung ihrer eigenen populistischen Narrative selbstkritisch zu beschäftigen, gingen sie stattdessen den Weg der Einschüchterung. Ruby Rebelde unterschrieb die Unterlassungserklärung nicht und Sisters e.V. entschied sich für eine Klage. Rebelde ist zwar auch Vorstandsperson von Hydra e.V., das Verfahren richtete sich aber gegen Ruby Rebelde als Einzelperson, nicht gegen den Verein Hydra.
Warum ist das wichtig?
Weil Sisters e.V. sich gern als kleinen, auf Spendengeldern angewiesenen Verein inszeniert. In Wirklichkeit ist Sisters e.V. aber Teil eines großen Netzwerks aus sog. „Prostitutionsgegner*innen“ und entschied sich, eine einzelne sexarbeitende Person auf juristischem Weg mundtot zu machen. Der Verein Hydra e.V. ist in die Klage überhaupt nicht involviert. Wir unterstützen Rebeldes Arbeit dennoch und setzen uns dafür ein, dass die diversen Stimmen von Sexarbeitenden Gehör finden!
Im Juli 2023 hatte Sisters mit ihrer Klage beim Landgericht Berlin noch Erfolg, verlor aber in der Berufung vor dem Kammergericht Berlin im Februar 2024 auf ganzer Linie und musste folglich auch die Verfahrenskosten ihrer eigenen Klage tragen.
Ruby Rebelde äußert sich zu dem Verfahren folgendermaßen:
„Ich soll mundtot gemacht werden, weil sich der Verein [Sisters e.V.] mit meiner Kritik nicht auseinandersetzen will. Mündige Sexarbeitende mit eigenen Forderungen passen nämlich nicht in deren Bild von ‚Prostituierten‘. Deshalb diskreditieren sie unbequeme Sexarbeitende als ‚Prostitutions- oder Zuhälterlobby‘“, so Rebelde. „Im Verfahren geht es um das Recht von Sexarbeiter*innen an der Debatte über sie und ihre Arbeit teilzuhaben. Es geht um das Recht auf freie Meinungsäußerung einer Minderheit, die massiv von Organisationen wie Sisters e.V. angegriffen und verunglimpft wird. Das ist ein hochpolitisches Verfahren.“
Umfangreiche Informationen zum Verfahren und die Perspektive von Ruby Rebelde finden sich auf Rubys Blog unter www.rubyrebelde.com. Wir halten es für selbstverständlich, dass sich journalistische Beiträge wenigstens auf eine kurze Recherche stützen und alle Seiten in einem gerichtlichen Prozess darstellen können. Dies ist hier leider nicht im Ansatz gelungen. Weder Ruby Rebelde noch wir wurden von Autor Leander Badura im Vorfeld kontaktiert.
FALSCH:
"Hydra wiederum setzt auf Entstigmatisierung und einen selbstbestimmten Weg in die Sexarbeit"
RICHTIG:
Gegner*innen der Sexarbeit verbreiten seit langem das Gerücht, Hydra würde sich dafür einsetzen, dass Menschen in der Sexarbeit arbeiten. Das ist natürlich nicht richtig. Als 1980 von Sexarbeiter*innen mitgegründeter Verein sowie Beratungsstelle und Treffpunkt für Menschen in der Sexarbeit liegt unser Fokus darauf, für Menschen in der Sexarbeit einen Ort zu schaffen, wo sie Unterstützung erfahren. Wir beraten (auf Wunsch anonym), begleiten und unterstützen unsere Zielgruppe, egal ob im Zusammenhang mit Sexarbeit oder einem anderen Lebensbereich. Außerdem bieten wir konkrete Hilfe, wenn Sexarbeitende Gewalt erfahren haben, sowie bei Ausbeutung oder Menschenhandel.
Unser Ziel ist weder, Menschen für, noch gegen eine Aufnahme der Sexarbeit zu motivieren. Ganz im Gegenteil: die Bedarfe unserer Ratsuchenden stehen im Vordergrund und sie bestimmen, wie sie zur Sexarbeit stehen. Professionelle Sozialarbeit heißt für uns, den Sexarbeiter*innen, die zu uns kommen, auf Augenhöhe zu begegnen, sie ernst zu nehmen und ihre Wünsche und Erwartungen anzuerkennen. Unsere Arbeit orientiert sich eben nicht an Moralvorstellungen davon, was man mit dem eigenen Körper tun darf oder nicht. Es ist außerdem nicht vereinbar mit unserer Vorstellung von Feminismus, einer Frau* ihre Selbstbestimmung abzusprechen – wie es z.B. Prostitutionsgegner*innen tun.
Oft ranken sich auch Mythen über unsere Orientierungsberatung, die auch im genannten Artikel fälschlicherweise als „Einstiegsberatung“ bezeichnet wird. Hierbei handelt es sich natürlich nicht um eine Beratung hin zur Aufnahme der Sexarbeit – dies wird von Prostitutionsgegner*innen zwar gern behauptet, aber fußt auf keinen Tatsachen. Die Orientierungsberatung ist eine Beratung zu einem Zeitpunkt, an dem eine Person über die Aufnahme der Sexarbeit nachdenkt. Hier gibt es Raum für die Klärung der Beweggründe und Informationen über die Realität von Sexarbeit. Wir wollen mit der Beratung sicher gehen, dass die Klient*in eine informierte Entscheidung trifft, eigene Grenzen setzen kann, weiß, was auf sie zukommt und wie sie für ihre Sicherheit sorgen kann und ganz besonders: es aus eigenen Stücken tun möchte und nicht, weil sie von jemand anderem, z.B. einem Partner, dazu gedrängt wird. Die Orientierungsberatung ist ergebnisoffen und nicht direktiv. Unsere Erfahrung ist, dass diese Beratung die Möglichkeit bietet, Menschen in besonders prekären Situationen alternative Möglichkeiten zu eröffnen, wenn sie glauben, Sexarbeit sei ihr einziger Weg. Ratsuchende in der Orientierungsberatung entscheiden sich anschließend nicht selten gegen die Sexarbeit.
Wir glauben daran, dass Informationen und Aufklärung für eine informierte Entscheidung elementar sind, um selbstbestimmte Lebensentscheidungen zu treffen. Im Gegensatz zu Beratungsstellen, die Sexarbeit generell ablehnen, sprechen wir den Ratsuchenden die Fähigkeit nicht ab, über ihr Leben zu entscheiden, reden ihnen keine Scham ein und machen ihnen keine religiöse Angst.
FALSCH:
"Dass sich beide Vereine nicht sonderlich mögen, dürfte einleuchten. Der Konflikt wird allerdings seit einer Weile vor Gericht ausgetragen"
RICHTIG:
Das Gerichtsverfahren beschäftigt sich nicht mit unterschiedlichen Haltungen zu Sexarbeit. Es ist ein SLAPP (engl. Strategic Lawsuit against Public Participation), um die Stimme einer sexarbeitenden Person verstummen zu lassen, Angst und Desinformation zu verbreiten. Um Sexarbeit und darum, was für Menschen in der Sexarbeit wichtig ist und was sie fordern, geht es nicht. Es handelt sich außerdem nicht um einen Streit zwischen zwei Vereinen, sondern um einen Verein (Sisters e.V.), der eine Einzelperson verklagt und einschüchtern will. Von unserer Seite gibt es keinen Konflikt.
FALSCH:
"Denn auf Dauer macht sich die Waffenungleichheit der Kontrahenten bemerkbar: Während auf der Homepage von Hydra Logos des Berliner Senats prangen, trägt sich Sisters durch Spenden – und muss nun 35.000 Euro Prozesskosten veranschlagen."
RICHTIG:
Die Beratungs- und Treffpunktarbeit von Hydra e.V. wird von zwei Berliner Senatsverwaltungen finanziert. Zuwendungsmittel können grundsätzlich nicht für Prozesskosten verwendet werden. Hier wird angedeutet, dass Hydra e.V. Durch Senatsmittel gut ausgestattet sei. Tatsächlich aber reichen die Mittel kaum, um dem großen Beratungsbedarf in Berlin gerecht zu werden. Ruby Rebelde wird als Einzelperson gerichtlich angegangen und Hydra e.V. leistet keine finanzielle Unterstützung. Auch Ruby Rebelde ist daher auf Spenden angewiesen. Einen Beitrag kann man hier leisten. Sisters e.V. hat sich hingegen selbst für diese Klage entschieden – selbstredend müssen sie diese auch finanziell tragen. Ob es im Sinne der Spender*innen ist, die Gelder für aussichtslose Verfahren gegen einzelne Sexarbeitende zu verwenden, sei mal dahingestellt. Schließlich läuft die Klage gegen eine jener Menschen, die sie vorgeben, zu retten.
FALSCH:
"Das Absurde ist: Hydra gibt selbst an, 'Lobbyarbeit' zu betreiben. Dem Verein vorzuwerfen, zur „Prostitutionslobby“ zu gehören, ist also keine antisemitische Verschwörungstheorie"
RICHTIG:
Der Artikel macht deutlich, dass sich Autor Leander Badura mit der Kritik am Begriff „Prostitutionslobby“ nicht beschäftigt hat. Hydra e.V. fehlen bei weitem die Ressourcen, um echte Lobbyarbeit zu betreiben. Unser Kontakt zu Entscheidungsträger*innen in Politik und Verwaltung findet in erster Linie im Rahmen der finanziellen Zuwendung für Beratungsstelle und Treffpunkt statt. Außerdem wird aus Politik und Verwaltung unsere Expertise über die Lebensrealitäten und Bedarfe von Sexarbeitenden sowie von Betroffenen von Menschenhandel in Berlin angefragt. Diese Art von Lobbyarbeit leistet jede NGO, die auf öffentliche Zuwendungen angewiesen ist.
Uns hingegen als Teil einer, evtl. sogar im Hintergrund agierenden, „Prostitutionslobby“ zu bezeichnen, ist nicht nur unwahr, sondern rufschädigend. Es deutet an, wir würden mit privaten Unternehmen unter einem Hut stecken, die mit Sexarbeit Profite erwirtschaften, z.B. Betreiber*innen von Bordellen und Stundenhotels, Vermittlungsplattformen oder Agenturen. Dieses Narrativ weisen wir entschieden zurück! Wir setzen uns für die Verbesserung der Lebensbedingungen von Sexarbeitenden ein. Ihre Interessen sind keinesfalls deckungsgleich mit denen der anderen Akteur*innen in und um Sexarbeit.
Wir sind in erster Linie ein gemeinnütziger Träger der Sozialen Arbeit und in diesem Rahmen setzen wir uns auch politisch für unsere Klientel ein. Daraus einen Lobby-Vorwurf zu formulieren, ist absurd. Oder würde man eine Suchtberatungsstelle als Teil der „Drogenlobby“ bezeichnen?
Ruby Rebelde fasst den verschwörerischen Hintergrund des Lobbyvorwurfs übrigens so zusammen:
„Sexarbeits- und queerfeindliche Gruppierungen benutzen das Lobby-Argument, um den Eindruck eines Bedrohungsszenarios zu schüren. In einer (ausgedachten, nicht belegbaren) Lobby kooperieren Personen und Gruppierungen in verbrecherischer, ausbeuterischer Absicht um ihre egoistischen Interessen zu befriedigen. Sexarbeitende – auch ich – werden als ‚Prostitutionslobby‘ bezeichnet um unser Anliegen zu delegitimieren.“
