Wahl 2021
Im Vorfeld der Wahl zum Abgeordnetenhaus Berlin haben wir von Hydra allen demokratischen Parteien Wahlprüfsteine geschickt und sie um eine Positionierung zu Themen rund um Sexarbeit gebeten.
Sexarbeiter*innen waren und sind durch die Covid19-Pandemie besonders betroffen, durch monatelange Tätigkeitsverbote und fehlende Unterstützung haben sich Problemlagen verschärft. Was sind die Lösungen der Politik? Wie können besonders marginalisierte Sexarbeitende in Berlin besser unterstützt werden?
Vier Parteien haben uns ihre Antworten und Ansichten geschickt, die CDU hat auf unsere Anfrage nicht reagiert.
Wahlprüfsteine von Hydra e.V. zur Wahl des Abgeordnetenhauses 2021 (pdf)
Antworten nach Reihenfolge des Eingangs:
Antworten der Partei Die LINKE (pdf)
Sexarbeiter*innen in Zeiten der Pandemie
Sexarbeiter*innen wurden von der Covid19-Pandemie besonders hart getroffen. Neben monatelangen Tätigkeitsverboten gab und gibt es in dieser Zielgruppe viele Personen, die durch alle Raster der Unterstützung gefallen sind, da sie z.B. keine Ansprüche auf staatliche Leistungen hatten oder die Hürden zur Beantragung viel zu hoch waren. Hier hat u.A. Hydra mit einem spendenfinanzierten Hilfsfonds vieles aufgefangen, was Aufgabe des Staates gewesen wäre.
Welche Maßnahmen planen Sie, um Sexarbeiter*innen in Berlin zu unterstützen und ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen zu verbessern? Wie kann besonders marginalisierten Sexarbeiter*innen (insbesondere migrantisierte Sexarbeiter*innen, trans Sexarbeiter*innen) in der Pandemie und danach bessere Unterstützung zuteilwerden?
Am 13. Februar 2021 beschloss der Landesausschuss der Berliner LINKEN den Antrag „Gegen die Stigmatisierung von Sexarbeit, für faire Arbeitsbedingungen!“. Darin bekräftigen wir unsere Forderungen nach mehr Rechten und Respekt für Sexarbeitende. Es müssen die Rahmenbedingungen und ein gesellschaftliches Klima geschaffen werden, in dem Sexarbeitende als Subjekt ernst genommen und ihre Wünsche und Bedürfnisse entsprechend gehört und respektiert werden.
Es braucht bezahlbare Wege in die Sozialversicherungssysteme, wie für alle Selbstständigen und gemeinsam mit den Verbänden ausgehandelte, gesetzlich zu verankernde Mindeststandards (Sicherheit, Hygiene oder Miethöhe) für die unterschiedlichen Arten von Prostitution. Wir setzen uns für den Ausbau und die Finanzierung von aufsuchenden Beratungs- und Informationsangeboten in verschiedenen Sprachen für Prostituierte sowie auf freiwillige anonyme Inanspruchnahme gerichtete Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten bei sexuell übertragbaren Krankheiten (STI) ein. Darüber hinaus unterstützt DIE LINKE. Berlin den Ausbau und die Finanzierung von Peer-Projekten, um Beratung auf Augenhöhe für Sexarbeitende zu ermöglichen.
Wir setzen uns dafür ein, dass Sexarbeit in Berlin stärker als bisher selbstbestimmt, sicher und unter guten Arbeitsbedingungen stattfinden kann. Hierfür wollen wir die Einstiegs- und Umstiegsberatung und mehrsprachige Kontaktstellen ausbauen sowie bei der Gesundheitsberatung und -versorgung nachbessern, dabei müssen insbesondere auch die Rechte und Bedürfnisse von migrantisierten Sexarbeiter*innen sowie von trans, inter und nichtbinären Sexarbeiter*innen berücksichtigt werden. Wir setzen uns für einen erleichterten Leistungsbezug bei den Jobcentern und Zugang zur Gesundheitsversorgung sowie für die Abschaffung des stigmatisierenden „Prostituiertenschutzgesetzes“ auf Bundesebene ein. Essentiell ist, dass hierbei die Expertise und die Erfahrungen von Sexarbeiter*innen einbezogen werden.
Die besonders prekäre und vulnerable Situation von Sexarbeitenden während der Pandemie – insbesondere auf der Straße – war und ist uns bewusst. Hier haben wir uns im Rahmen unserer parlamentarischen Möglichkeiten immer wieder dafür eingesetzt, dass die Verwaltungen zumindest partiell unkomplizierte Hilfen über Projektträger ermöglichen. Zudem haben wir den Einsatz von repressiven Mitteln gegenüber den zuständigen Sicherheitsbehörden problematisiert.
Seit 2016 müssen sich Sexarbeitende in Berlin offiziell registrieren und eine Gesundheitsberatung durchlaufen. Für die Arbeit im Bordell ist eine Anmeldung und ein entsprechender Ausweis Pflicht. Registrierte Prostituierte konnten die CoronaSoforthilfe beantragen. Wer nicht registriert ist hat dieses Anrecht nicht. Die Partei der Freien Demokraten plädiert daher, sich als Sexarbeiterin oder Sexarbeiter registrieren zu lassen.
Sexarbeit ist kein Beruf wie jeder andere. Die Besonderheiten und Gefahren dieses Gewerbes, die Sicherheit im Arbeits-, Sozial- und Strafrecht sowie die weitere Entstigmatisierung sind stets im Blick zu behalten – dies gilt auch und gerade in der Pandemiezeit. Viele Sexarbeiter:innen sind von den pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen besonders hart getroffen. Deshalb haben wir uns dafür eingesetzt, dass alle Solo-Selbstständigen und Kleinunternehmen finanzielle Unterstützung erhalten – dazu gehören Sexarbeiter:innen ebenso wie Bordelle und Sexstudios. Im Rahmen der regulären Sozialleistungen sowie der zusätzlichen Corona-Hilfspakete für Solo-Selbstständige gibt es bereits staatlich geförderte ökonomische Hilfen für Sexarbeitende: Sexarbeitende können Sozialleistungen in den zuständigen Ämtern und Job-Centern beantragen. Die Bundesagentur hat während der Pandemie eine Weisung an die Job-Center erlassen, wonach die Neuantragstellung und Weiterbewilligung von Grundsicherung deutlich vereinfacht werden. Auch die Wirtschaftshilfen der IBB für Solo-Selbstständige i.H.v. 5.000 Euro konnten von Sexarbeitenden beantragt werden.
Der Zugang zu den staatlichen Hilfen ist jedoch für die diverse Zielgruppe der Sexarbeitenden in Berlin nicht immer ohne Hürden möglich. So sind viele Sexarbeitende aufgrund des Tätigkeitsverbotes für sexuelle Dienstleistungen mit Körperkontakt in einer prekären Notlage gelandet. Am stärksten von betroffen sind in der Zielgruppe der Sexarbeitenden beispielsweise diejenigen, die keinen Zugang zur Krankenversicherung oder keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben – öfter sind diese Frauen und Transpersonen mit unsicherem Aufenthaltsstatus. Aus diesem Grund hat der Senat unter Führung der SPD für die Finanzierung der Obdachlosenunterkunft „Pumpe“ Mittel i.H.v. 77.000 Euro zur Verfügung gestellt, um Schlafplätze für wohnungslose Sexarbeitende sicherzustellen (vgl. hierzu Drucksache 18/27310 vom 28.04.2021).
Runder Tisch Sexarbeit
Der landesweite Runde Tisch hat 2019 nach gut einem Jahr die Arbeit eingestellt, es sind keine weiteren Sitzungen geplant. Das anschließende Koordinierungsgremium kommt nur sehr selten zusammen und auch aufgrund der Covid19-Pandemie verläuft die Umsetzung der empfohlenen Maßnahmen schleppend.
Wie werden Sie sich dafür einsetzen, dass die Empfehlungen des Handlungskonzepts nachhaltig umgesetzt und die Arbeit des Runden Tisches
weitergeführt werden kann?
In 2020 sind einige Projekte mit Mitteln des Runden Tisches gestartet worden, bei Hydra sind zwei Projekte angesiedelt: Eines zur Ermöglichung eines niedrigschwelligen Zugangs zu psychotherapeutischer Unterstützung für Sexarbeiter*innen und eine Kampagne zur Entstigmatisierung von Sexarbeit. Mit diesen Projekten wurde begonnen, Versorgungslücken zu schließen und die Stimmen von Sexarbeiter*innen im Diskurs sichtbarer zu machen. Diese Projekte müssen auch ab 2022 unbedingt fortgesetzt werden.
Setzen Sie sich in den kommenden Haushaltsverhandlungen dafür ein, dass diese Projekte weiterhin gesichert finanziert und zusätzliche Projekte umgesetzt werden können?
Das uns vorliegende Handlungskonzept des Runden Tisches Sexarbeit enthält eine Vielzahl von Vorschlägen, um die Arbeits- und Lebensbedingungen für Sexarbeitende in Berlin zu verbessern. Stück für Stück sollte es jetzt darum gehen, die Erkenntnisse und den begonnenen Abstimmungsprozess der Akteur:innen zu verstetigen. Es braucht dringend ein weiterführendes Koordinierungsgremium mit Teilnehmenden aus Verwaltung, NGO’s, Sexarbeitenden, Betreibenden etc., welches fortbesteht und die praktische Umsetzung des Handlungskonzeptes mit begleitet. Wir sind der Meinung, dass durch dieses Gremium der Austausch zwischen den beteiligten Akteur:innen langfristig sichergestellt und zukünftige Konflikte vermieden werden können. Für die Umsetzung der Empfehlungen des Runden Tisches Sexarbeit braucht es finanzielle Ressourcen für das Haushaltsjahr 2022/23 sowie eine weiterführende Sensibilisierung in der Verwaltung und den Ordnungsbehörden.
DIE LINKE. Berlin wird sich dafür einsetzen, dass Mittel und die Erkenntnisse es Runden Tisches Sexarbeit zur Verfügung gestellt sowie angewandt werden. Bestehende Strukturen für Sexarbeitende müssen gestärkt, Versorgungs- und Beratungslücken geschlossen und finanzielle Mittel zur Umsetzung des erarbeiteten Handlungskonzeptes bereitgestellt werden.
Mit Blick auf Sexarbeit im öffentlichen Raum ist es unerlässlich, den Dialog zwischen Sexarbeiter*innen, Beratungsstellen und Anwohnenden zu stärken, um Stigmatisierung und Diskriminierung von Sexarbeiter*innen entgegenzuwirken. Der von uns unter Rot-Rot-Grün einberufene Runde Tisch Sexarbeit hat ein Handlungskonzept vorgelegt, dessen Umsetzung wir weiter vorantreiben, evaluieren und nach Bedarf anpassen wollen, um die Rechte und Arbeitsbedingungen von Sexarbeiter*innen zu verbessern. Einsatzkräfte und Beamt*innen im Kontakt mit Sexarbeiter*innen müssen Weiterbildungen zu diskriminierungssensiblem Umgang absolvieren.
Der Haushaltsentwurf des Senats für die Jahre 2022/2023 sieht eine erhebliche Kürzung der Mittel für den Runden Tisch Sexarbeit vor. Damit müssten wichtige und erfolgreiche Projekte der Unterstützung, Beratung und des Empowerments von Sexarbeitenden, die zum Teil erst vor kurzem gestartet wurden und ihre Arbeit aufgenommen haben, sowie der aufsuchenden Sozialarbeit reduziert oder sogar komplett abgewickelt werden. Wir halten das für einen handfesten Skandal und werden diese Kürzungen nicht hinnehmen. Im Rahmen der parlamentarischen Haushaltsberatungen, die voraussichtlich zu Beginn des kommenden Jahres beginnen werden, werden wir uns selbstverständlich für eine Rücknahme der Kürzungen und eine Verstetigung der Projekte einsetzen.
Wir werden uns dafür einsetzen, dass zielführende Empfehlungen umgesetzt werden können.
Die Partei der Freien Demokraten wird sich auch zukünftig in den Haushaltsverhandlungen dafür einsetzen, dass entsprechende Projekte finanziell gefördert werden und eine entsprechende Personalausstattung erhalten, um ihre wichtige Arbeit weiterhin durchführen zu können.
Die Berliner SPD hat sich dafür eingesetzt, im Doppelhaushalt 2020/2021 Mittel zur Umsetzung der am Runden Tisch Sexarbeit entwickelten Maßnahme in Höhe von 500.000 Euro pro Jahr zu verankern. Von den insgesamt 500.000 Euro sind 300.000 Euro für bezirkliche Maßnahmen und 200.000 Euro bei der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung etatisiert. Auch in der kommenden Legislaturperiode werden wir uns weiterhin dafür einsetzen, dass die Handlungsempfehlungen umgesetzt werden und hierfür eine ausreichende Finanzierung sichergestellt wird.
Migrantische Sexarbeiter*innen aus Drittstaaten
Personen, die aus Drittstaaten nach Deutschland einreisen und hier selbstständig der Sexarbeit nachgehen, haben unter diesen Voraussetzungen aktuell kaum die Möglichkeit dies legal mit einem Arbeitsvisum zu tun. Durch den Brexit hat sich der Personenkreis, der von diesen Einschränkungen betroffen ist, noch einmal dramatisch erhöht, wie wir auch durch zahlreiche Anfragen in der Beratungsarbeit feststellen.
Wie wird sich ihre Partei dafür einsetzen, dass migrantische Sexarbeiter*innen die Möglichkeit bekommen, legal in Deutschland der Sexarbeit nachzugehen?
In unserem Bundeswahlprogramm von 2021 heißt es dazu: „Die Wirtschaft basiert vielfach auf der Ausbeutung und auf schlechten Arbeitsbedingungen von Migrant:innen mit oft prekärem Aufenthaltsstatus und teilweise eingeschränkter gesundheitlicher Versorgung. Diese rechtlichen und sozialen Diskriminierungen müssen abgebaut werden. Es braucht Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse unabhängig von Beschäftigungsdauer und Arbeitgeber*in. Wir fordern Legalisierungsmöglichkeiten für Menschen ohne Aufenthaltsstatus und effektive Bleiberechtsregelungen für Menschen, die in einem unsicheren Aufenthaltsstatus oder mit Kettenduldung leben müssen.“
Wir sind der Überzeugung, dass Persönlichkeits-, Freiheits- und Selbstbestimmungsrechte, der diskriminierungsfreie Zugang zu Gesundheits- und Sozialdienstleistungen und weitere soziale und wirtschaftliche Rechte, Schutz vor Ausbeutung, Gewalt, Erpressung und anderen Übergriffen – allen gleichermaßen zusteht, also auch Sexarbeiter:innen. Wir fordern Legalisierungsmöglichkeiten für Menschen ohne Aufenthaltsstatus und effektive Bleiberechtsregelungen für Menschen, die in einem unsicheren Aufenthaltsstatus oder mit Kettenduldung (die Praxis, Duldungen immer wieder zu verlängern) leben müssen. Für sie wollen wir einen sicheren Zugang zu Bildung, Gesundheit und arbeitsrechtlichen Schutz vor Ausbeutung schaffen.
Wir müssen sicherstellen, dass sich Gesetze zur öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht zum Nachteil (eines migrantischen Teils) der Sexarbeitenden auswirken, diskriminierend sind oder anderweitig zu Menschenrechtsverletzungen führen. Wenn Sexarbeitende z.B. derart hohe administrative Hürden überwinden müssen, um legal arbeiten zu dürfen, dass sie wiederum in die Abhängigkeit von großen Bordellbesitzer:innen, in die Fänge des organisierten Verbrechens oder in die Illegalität gedrängt werden, kann dies erneut zu strafrechtlicher Verfolgung führen, aber auch zu höherer Verletzlichkeit. Deswegen fordert DIE LINKE. Berlin die Entstigmatisierung und Entkriminalisierung des Gewerbes.
Sexarbeit ist seit Mitte 2017 durch das Prostitutionsgesetz legal. Migrantische Sexarbeiter*innen können dieser Tätigkeit legal nachgehen, wenn sie über eine Arbeitserlaubnis verfügen, EU-oder EWR-Angehörige sind oder aus der Schweiz kommen. Wir Bündnisgrüne stehen für eine Geflüchteten- und Integrationspolitik, in der jeder einzelne Mensch zählt. Wir verteidigen das Grundrecht auf Asyl und wollen Asylverfahren beschleunigen, setzen uns für faire, qualifizierte und effiziente Verfahren sowie für eine nachhaltige Integrationspolitik ein.
Auch migrantische Sexarbeiter*innen haben die Möglichkeit, sich entsprechend dem Prostituiertenschutzgesetz anzumelden und dann legal ihrer Tätigkeit nachzugehen. Wir unterstützen dies.
Das Ziel der SPD ist es, den Schutz und die allgemeinen Lebensbedingungen für Menschen, die der Sexarbeit nachgehen, zu verbessern. Mehrsprachige und niederschwellige Beratungsangebote müssen in dem Umfang und der Qualität angeboten werden, die den individuellen Notwendigkeiten und Erfordernissen der Sexarbeitende entsprechen. Wir bewerten es als dringend geboten, dass die Angebote ausgebaut und langfristig gestärkt werden. Wir setzen uns dafür ein, dass das Aufenthaltsrecht von ausländischen Betroffenen von Menschenhandel und Zwangsprostitution nicht länger von deren Bereitschaft, im Strafverfahren gegen ihre Peiniger:innen auszusagen, abhängig ist. Wir bekennen uns zudem weiterhin zur Verantwortung, allen Menschen in der Stadt ein Leben in Würde und ohne Angst zu ermöglichen. Kettenduldungen lehnen wir ab. Bestehende Arbeitsverbote für geduldete Menschen wollen wir daher durch eine Aufenthaltserlaubnis beenden und somit den Zugang zur Erwerbstätigkeit ermöglichen.
Sondergesetze für Sexarbeit
Weiterhin hat die Pandemie den Diskurs um Sexarbeit in einer extrem negativen und stigmatisierenden Art verändert und verschärft: Bundespolitiker*innen sprachen von Sexarbeiter*innen als „Superspreader“ und Medienberichte mit einseitiger Berichterstattung und Forderungen nach Kriminalisierungen, z.B. in Form eines Sexkaufverbotes, häufen sich.
Werden Sie sich dafür einsetzen, dass Sexarbeit entkriminalisiert wird und diskriminierende Sondergesetze abgeschafft werden? Wie positionieren Sie sich zu einem sog. Sexkaufverbot oder einer Verschärfung des Prostituiertenschutzgesetzes? Planen Sie Bundesratsinitiativen zu diesem Thema oder eine Positionierung im Landesparlament (analog z.B. zu NRW)?
DIE LINKE. Berlin lehnt das sog. Sexkaufverbot und/oder jegliche Verschärfung des Prostituiertenschutzgesetzes ab. Unsere Kritik an dem diskriminierenden Sondergesetz der Großen Koalition besteht weiterhin. Es begünstigt die Illegalisierung von Sexarbeiter:innen, es begünstigt Armuts- und Straßenprostitution, es begünstigt Betreiber:innen von Großbordellen. Wir bewerten das Prostituiertenschutzgesetz als Rückschritt, u. a. aufgrund der für Sexarbeitenden eingeführten Registrierungspflicht. Es setzt eben nicht auf das Selbstbestimmungsrecht derjenigen, die in der Sexarbeit tätig sind.
In unserem Wahlprogramm 2021 heißt es dazu: „Wir setzen uns für eine Entstigmatisierung von Sexarbeit ein. Das Prostituiertenschutzgesetz von 2017 beschneidet die Rechte von Sexarbeitenden. Geeigneter Schutz kann aber nur mit einem Ausbau einklagbarer Rechte erfolgen. Um eine Verdrängung der Sexarbeit in die Außenbezirke zu verhindern, werden wir uns für den Erhalt von kleinen Wohnungsbordellen und für mehr Freiräume für Gewerbe einsetzen. Das Erstarken von Monopolbordellen wollen wir unterbinden.“ Bei einer erneuten Regierungsbeteiligung würden wir einer Bundesratsinitiative oder einer Positionierung im Landesparlament nicht im Weg stehen.
Wir wollen der Stigmatisierung von Sexarbeit entgegenwirken und gesellschaftliche Vorurteile abbauen. Ein sogenanntes „Sexkaufverbot“ bzw. das „Nordische Modell“ lehnen wir ebenso ab wie das sogenannte „Prostituiertenschutzgesetz“, das wir abschaffen wollen.
Die Partei der Freien Demokraten plant keine Verschärfung des Prostituiertenschutzgesetzes und auch keine Einführung eines sogenannten Sexkaufverbotes. Bei einer Verschärfung der Gesetzgebung, oder gar einem Verbot, werden Prostituierte in die Illegalität getrieben. Dies wollen wir unbedingt vermeiden.
Die SPD Berlin spricht sich klar gegen ein Sexkaufverbot aus. Ein Sexkaufverbot kriminalisiert die Tätigkeit von Sexarbeiter:innen und verstärkt die Stigmatisierung, die mit ihrer Arbeit einhergeht. Ihre Dienstleistung wird durch das Verbot vom öffentlichen Raum in den privaten Raum und vergleichbar schlecht geschützte Räume verdrängt, wodurch sich das Risiko für eine Infektion mit übertragbaren Krankheiten und Gewalttaten erhöht, die bei einem Verbot schwerer zur Anzeige gebracht werden können. Rechtlich verschlechtert ein Verbot die Situation derer, die diesen Beruf selbstbestimmt ausüben. Ihnen wird sowohl das Recht auf körperliche Selbstbestimmung genommen als auch das Recht auf die Vertretung der eigenen Interessen: Die Bildung eines eigenen Berufsverbandes wäre beim Schwedischen Modell beispielsweise nicht zulässig. Die rechtliche Situation von Sexarbeiter:innen, die gegen ihren Willen tätig sind, würde durch ein Verbot insofern ebenfalls verschlechtert, dass sie für die Hilfs- und Beratungsangebote noch schlechter erreichbar wären. Eine Aufklärung über die eigenen Rechte und die Information über Ausstiegsmöglichkeiten wären folglich stark erschwert, gesundheitliche Prävention nicht möglich. Die Berliner SPD setzt sich deshalb dafür ein, das Prostituiertenschutzgesetzes (ProstSchG) ausführlich zu evaluieren und entsprechend der Ergebnisse anzupassen und zu überarbeiten. Im Zuge dessen soll die Perspektive von in der Sexarbeit tätigen Personen einbezogen werden, um Regulierungsmaßnahmen bedarfsgerecht auszugestalten. Verbote oder neue, restriktive Maßnahmen sollen nicht eingeführt werden, ohne deren Wirksamkeit im Zuge der Evaluation zu prüfen und festzustellen. Unser Parteitag hat am 31.10.2020 einen entsprechenden Beschluss zur Novellierung des ProstSchG gefasst. Hierbei sollten folgenden Punkten geändert werden:
- Die Anmeldepflicht für Sexarbeiter:innen zu einer Beratungspflicht umgewandelt wird;
- Bei der Anmeldung auch weiterhin andere Tätigkeiten angegeben werden können;
- Der sogenannte „Hurenpass“ abgeschafft wird;
- Die Beratungsangebote massiv ausgebaut werden;
- Ein Plan zur Bekämpfung des Menschenhandels im Zusammenhang mit der Prostitution vorgelegt wird;
- Dafür soll eine Art runder Tisch mit den verschiedenen Akteuren zum Thema Sexarbeit initiiert werden, der einen Aktionsplan entwickelt und finanziell ausreichend ausgestattet wird.
Auch auf Bundesebene stellen wir Sozialdemokrat:innen klar: Ein Sexkaufverbot lehnen wir derzeit ab. Die einschlägigen Strafrechtsnormen und des Strafprozessrechts sollen einer realitätsnahen Überprüfung unterzogen werden, insbesondere mit Blick auf Strafrahmen und neuere strafbare Lebenssachverhalte.
Unterstützung von trans Sexarbeiter*innen
Insbesondere trans Sexarbeitende und auf der Straße arbeitende Sexarbeiter*innen sind von Wohnungs- und Obdachlosigkeit betroffen. Hier greifen häufig die etablierten Hilfesysteme nicht, da beispielsweise trans Sexarbeiter*innen oft keinen Zugang zu Notunterkünften erhalten oder diese Unterkünfte nicht nutzen, da eigene Schutzräume benötigt werden.
Wie setzen Sie sich für die Belange von trans Sexarbeitenden ein? Gibt es Pläne, eine Notunterkunft für diese Zielgruppe in der Nähe des Bülowkiez zu schaffen? Ist durch Ihre Partei in Berlin eine Bundesratsinitiative zur Abschaffung des Transsexuellengesetz (TSG) geplant?
In der Sexarbeit arbeiten viele vulnerable Gruppen, die besonders schutzbedürftig sind. Auch wir sind der Meinung, dass es momentan zu wenig und nicht ausreichend Unterstützungsangebote in verschiedenen Sprachen oder Notunterkünfte (Plätze) für trans Sexarbeitende gibt. Wir kennen die Forderungen der ehrenamtlichen Initiative Trans*sexworks und werden uns dafür einsetzen, dass dieses Peer-to-Peer Projekt mehr finanzielle Unterstützung erfährt. Nach unseren Informationen hat die Schwulenberatung Berlin auch trans Sexarbeitenden mit Migrationshintergrund einen Schlaf- bzw. Wohnplatz in der von ihnen betriebenen queeren Erstaufnahmeeinrichtung und Gemeinschaftsunterkunft für LSBTI* Geflüchtete angeboten. Interessiert wären wir an Einschätzungen/ Erfahrungen dahingehend.
Nichtsdestotrotz brauchen auch trans Sexarbeitende in Zukunft eine Notunterkunft bzw. die Möglichkeit sichere Schutzplätze aufzusuchen, in welchen sie nicht belästigt werden. Hierfür braucht es eine bezirkliche Regelung. Wir unterstützen Überlegungen/ Forderungen in diese Richtung.
Zum Transsexuellengesetz (TSG) – in unserem Berliner Wahlprogramm 2021 heißt es dazu: „Wir stehen für geschlechtliche und sexuelle Selbstbestimmung. Deshalb werden wir uns im Bundesrat weiter für den Schutz von LSBTIQ engagieren, u. a. für bundesweite Akzeptanzmaßnahmen und die Abschaffung des Transsexuellengesetzes.“
Siehe hierzu auch die Antwort auf die erste Frage.
Für uns ist klar, dass wohnungslose Sexarbeiter*innen Zugang zu sicheren Unterkünften benötigen und wir werden uns dafür einsetzen entsprechende – im Idealfall kieznahe – Plätze ausbauen. Wir setzen uns darüber hinaus für ausreichend Housing-First-Wohnungen ein, die besonders verletzliche Gruppen, wie u.a. auch Sexarbeiter*innen, berücksichtigen sollen.
Das veraltete und menschenrechtswidrige Transsexuellengesetz wollen wir auf Bundesebene abschaffen und durch ein Gesetz für geschlechtliche Selbstbestimmung ersetzen. Berlin hat auf grüne Initiative hin bereits in der aktuellen Wahlperiode eine entsprechende Bundesratsinitiative ergriffen. Diesen Kurs werden wir weiter fortsetzen!
Wir wollen obdachlose Menschen dabei unterstützen, ein menschenwürdiges und selbstbestimmtes Leben zu führen. Dazu wollen wir eine zentrale Koordinierungsund Anlaufstelle schaffen, Präventionsangebote stärken und eine schnelle Unterbringung mit einer „Housing First“-Strategie bei Angebot einer psychosozialen Begleitung gewährleisten.
Um allen Personen gleichermaßen Selbstbestimmung über die geschlechtliche Identität zu ermöglichen, so die Fraktion in ihrem Antrag, soll das Transsexuellengesetz (TSG) abgeschafft werden. Wir, die Partei der Freien Demokraten glauben, dass allen Personen die Selbstbestimmung über die geschlechtliche Identität erlaubt werden sollte. Genitalverändernde Operationen an intergeschlechtlichen Kindern sollen wirksam verboten werden.
Als Berliner SPD fühlen wir uns der Trans-Community verbunden, setzen uns für ihren Schutz ein und unterstützen die Community aktiv bei ihrem Empowerment. Ihren Schutz vor Verdrängung aus dem öffentlichen Raum sowie vor Diskriminierung, Belästigung und Gewalt sehen wir als unsere Verpflichtung an – das gilt auch für Trans-Sexarbeitende. Für den Schutz von Trans-Menschen aber auch von anderen Teilen der LGBTQI*-Community haben wir mit der Initiative „Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz geschlechtlicher und sexueller Vielfalt“ (IGSV) einen außergewöhnlichen Maßnahmenplan initiiert. Diesen werden wir umsetzen und dauerhaft weiterentwickeln.
Die SPD Berlin setzt sich für die Abschaffung des Transsexuellengesetzes ein. Regelungen zur Unterstützung informierter Entscheidungen von Personen, die ihren Personenstand ändern wollen, wollen wir schnellstmöglich umsetzen. Wir wollen außerdem die Förderung von Trans*-Selbsthilfegruppen weiter ausbauen. Zudem streben wir an, dass im stationären und ambulanten Pflegedienst sowie in Hospizen eine transsensible Qualifizierung und Zertifizierung etabliert wird. Die besonderen Bedürfnisse von queeren Menschen im Gesundheitsbereich, vor allem die Bedürfnisse von trans* Personen, werden wir verstärkt berücksichtigen.
Vielfalt der Arbeitsorte in Berlin
Im Zuge der Umsetzung des Prostituiertenschutzgesetzes (ProstSchG) wird klar, dass dieses Gesetz die gesetzten Ziele verfehlt. Insbesondere im Bereich der Betriebsstätten zeichnet sich in Großstädten wie Berlin schon länger die Problematik ab, dass es bei der Konzessionierung zu Konflikten mit dem Baurecht kommt und hier die jahrelange Duldung der Bezirke ein Ende findet, sodass viele kleine Wohnungsbordelle bereits schließen mussten oder noch schließen müssen.
Was ist ihre Strategie, um das ProstSchG in Berlin so umzusetzen, dass eine Vielfalt der Arbeitsorte in der Sexarbeit erhalten bleiben kann?
Wir wissen um das akute Problem, dass die Existenz vieler Berliner Wohnungsbordelle bei strenger Auslegung und konsequenter Anwendung des Baurechtes auf dem Spiel stehen. Aus diesem Grund haben sich die Linksfraktion im Abgeordnetenhaus und die frauenpolitische Sprecherin Ines Schmidt intensiv um eine Sensibilisierung und politische Handhabung gegenüber den Koalitionspartnern bemüht. Zum Internationalen Tag für die Rechte von Sexarbeitenden im März 2020 hat DIE LINKE. Berlin eine Kundgebung organisiert und das Thema an die Verwaltung adressiert. Darüber hinaus haben wir auf Landesebene einen Antrag eingebracht, welcher die Problematik der Arbeitsstätten darstellt und Lösungsvorschläge präsentiert. Bis jetzt sind die Koalitionspartner nicht auf unsere Vorschläge eingegangen. Wir fordern im Antrag: 1.) eine Bundesratsinitiative anzustoßen, die sich dafür einsetzt, dass Prostitutionsstätten nicht mehr als Vergnügungsstätten eingeordnet werden, sondern als „sonstige Gewerbebetriebe“ bzw. „nicht störender Gewerbebetrieb“, 2.) dass die Stadtplanungsämter jeden Fall einzeln prüfen und nicht aufgrund der Lage (Wohn- oder Mischgebiet) entscheiden, 3.) wollen wir keine Vorlage der Baunutzungsgenehmigung bei der gewerblichen Anmeldung und Genehmigung eines Betriebs (Hamburger-Modell). Falls der letzte Punkt nicht umgesetzt werden könnte, plädieren wir auf eine Übergangsregelung für Bestandsbetriebe von 5 Jahren.
Wir teilen die Auffassung, dass das Prostituiertengesetz nicht zur Schließung insbesondere von kleinen und inhabergeführten Prostitutionsstätten und -betrieben führen darf, die in ihrer übergroßen Mehrzahl einen sicheren Ort für Sexarbeit bieten. Dafür wollen wir im Rahmen der bestehenden rechtlichen Vorgaben Lösungen erarbeiten.
Das Zweckentfremdungsverbot verbietet in Berlin die gewerbliche Nutzung von Wohnraum. Wohnraum ist knapp und teuer und ebenso verhält es sich mit Flächen für Gewerbe. Eine Lösung kann hier nur sein, dass mehr Wohn- und Gewerbeflächen gebaut werden. Wir wollen die „Berliner Mischung“ aus Gewerbe, Wohnen und Kultur erhalten. Die Ausweisung von Mischgebieten und die Nutzung der neu geschaffenen Möglichkeit zur Ausweisung „urbaner Gebiete“ müssen deutlich ausgeweitet werden. Das Modell der Wohnungsmietergenossenschaften soll auf Gewerbetreibende übertragen werden.
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