Geschichte von Hydra e.V.
Der grüne Schlangen-Highheel ist als Symbol von HYDRA e.V. weit über Berlin hinaus bekannt. Der Verein HYDRA e. V. wurde 1980 als erste autonome Hurenorganisation Deutschlands in Berlin von sozial engagierten Frauen aus unterschiedlichen Berufssparten, u.a. der Prostitution, gegründet. Der Kampf gegen das Hurenstigma – die gesellschaftliche Doppelmoral im Umgang mit Prostituierten – und gegen die Rechtlosigkeit von Prostituierten als Erwerbstätigen war überfällig. Die HYDRA-Gründerinnen sahen sich mit diesen Anliegen einerseits im Kontext der damaligen Frauenbewegung und knüpften andererseits an die französische Hurenbewegung an, die 1975 mit einem Prostituiertenstreik in Lyon auf sich aufmerksam gemacht hatte. An diesen Streik erinnert alljährlich der „Internationale Hurentag“ am 2. Juni.
Der Name Hydra geht auf die neunköpfige Schlange der griechischen Mythologie zurück, der immer zwei Köpfe nachwuchsen, wenn man ihr einen abschlug. Als ähnlich unschlagbar und vielköpfig sollten sich die Hurenbewegung und der Verein HYDRA erweisen. Dass HYDRA sich nunmehr seit vierzig Jahren für die sozialen und politischen Rechte von Prostituierten (inzwischen benutzen wir den damals noch unüblichen Begriff „Sexarbeiter*innen“) einsetzt und sich trotz vielfacher Widerstände behaupten konnte, ist eine Bestätigung dieser Namensgebung.
Seit 1985 erhält HYDRA e.V. eine kontinuierliche Finanzierung aus öffentlichen Geldern, durch die die Einrichtung einer Beratungsstelle mit eigenen Räumen ermöglicht wurde. Die Räume, die als Treffpunkt und Beratungsstelle dienen, waren im Laufe der Jahre in ganz verschiedenen Berliner Bezirken angesiedelt – in Charlottenburg, Schöneberg, Friedrichshain – und befinden sich seit 1997 in der Köpenicker Straße in Kreuzberg. Seit 2019 ist als zweiter Standort das HydraCafe in der Hermannstraße hinzugekommen.
Die gegenwärtig elf Mitarbeiterinnen von HYDRA bieten aber nicht nur Beratung vor Ort zu verschiedenen Themen rund um die Sexarbeit, sondern sind auch regelmäßig in Berliner Bordellen und auf der Straße unterwegs.
In den achtziger und neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurden in Deutschland weitere autonome Prostituiertenprojekte nach dem Vorbild von HYDRA ins Leben gerufen, von denen viele bis heute existieren (Auswahl): HWG (Huren wehren sich gemeinsam) in Frankfurt (1984-1999), Kassandra e. V. in Nürnberg (seit 1987), Nitribitt e.V. in Bremen (seit 1987), Phoenix e.V. in Hannover (seit 1989), Madonna e.V. in Bochum (seit 1991). Die noch bestehenden Projekte, die wie HYDRA öffentlich geförderte Beratungsstellen unterhalten, sind heute zusammen mit anderen Fachberatungsstellen für Sexarbeiter und Sexarbeiterinnen im Dachverband Bufas e.V. zusammengeschlossen.
Stationen in der Geschichte von Hydra
Von 1980 bis 1995 gab HYDRA e.V. den Nachtexpress – Zeitung für Bar, Bordell und Bordstein heraus, in dem Prostituierte über ihre Arbeit und deren gesellschaftliche Wahrnehmung schrieben, Tipps fürs erfolgreiche Anschaffen im Ausland gaben, sich dem damals virulenten Thema AIDS widmeten, über Zuhälter und Freier schrieben, über die Vor- und Nachteile des Einsteigens und Aussteigens nachdachten und vieles mehr. Einige der Ausgaben des Nachtexpress sind noch bei HYDRA erhältlich.
Im Oktober 1985 organisierte HYDRA den ersten Nationalen Prostituierten-Kongress in Berlin. Bis 1998 fanden in verschiedenen deutschen Städten 25 solcher Hurenkongresse statt, die sich jeweils aktuellen Themen widmeten und der Vernetzung der Hurenbewegung und der Beratungsstellen dienten, sowie oftmals mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen oder Demonstrationen verbunden waren. Seit 1999 finden diese Kongresse unter dem Namen „Fachtagung“ zweimal jährlich statt, und richten sich vornehmlich an ein Fachpublikum, was die stärkere Institutionalisierung der Hurenbewegung und die Professionalisierung der Beratungsstellen reflektiert. Inzwischen ist die Zeit jedoch reif, um wieder eine stärkere Öffnung und und öffentliche Wirksamkeit anzustreben, denn der Kampf für die Rechte und die Gleichstellung von Sexarbeiter*innen ist noch lange nicht zu Ende!
HYDRA veröffentlichte zwei Bücher: 1988 das Buch Beruf: Hure, in dem u.a. die Gründungsgeschichte von HYDRA erzählt wird, und 1991 das Buch Freier – das heimliche Treiben der Männer, eine von Hydra durchgeführte auf Interviews basierende kleine Studie über die Kunden von Prostituierten. Beide Bücher sind heute nur noch antiquarisch erhältlich und zeichnen ein aufschlussreiches Bild der damaligen Debatte um die Prostitution.
Der wohl größte Erfolg von HYDRA und der deutschen Hurenbewegung war die Abschaffung der Sittenwidrigkeit der Prostitution in Deutschland mit dem „Prostitutionsgesetz“ im Jahr 2002, der vorerst wichtigste Erfolg einer langjährigen politischen Arbeit. Seither können sich Prostituierte offiziell sozialversichern und haben ein Recht auf ihr Honorar. Das Gesetz war freilich ein Kompromiss zwischen den damals regierenden Parteien und enthält bei weitem nicht alle Forderungen der Sexarbeiter_innen, die damals formuliert und in einen eigenen Gesetzentwurf gegossen wurden, wie etwa die nach der Abschaffung der Sperrgebiete und der strafrechtlichen Sonderparagraphen für die Prostitution. Diese Forderungen sind nach wie vor aktuell und wir setzen uns weiterhin dafür ein, dass Sexarbeit mit anderen Berufen rechtlich gleichgestellt wird und diskriminierende Sonderbestimmungen abgeschafft werden.
Auch die soziale Lage von Prostituierten hat sich durch dieses Gesetz nur teilweise verbessert, und Prostitution ist nach wie vor ein gesellschaftlich stigmatisierter Beruf, was viele Sexarbeiter*innen in ein Doppelleben zwingt.
Spätestens seitdem 2013 die Stimmen nach einer "Abschaffung" der Prostitution im öffentlichen Diskurs immer lauter wurden und das Bundesfamilienministerium an einem neuen Gesetz zur Prostitution strickte, war klar: "Nothing about us, without us!"
Hydra hat sich in die Debatten um das neue Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) von Anfang an eingebracht und es vor allem stark kritisiert. Die darin vorgesehene Registrierung aller Sexarbeiter*innen in Deutschland ist nicht nur aus Datenschutzsicht bedenklich, sondern erinnert auch an dunkle Kapitel in der deutschen Geschichte.
Wir haben durch Aktionen, Unterschriftensammlungen, Teilnahme an Diskussionsrunden und Demonstrationen immer wieder betont, dass dieses Gesetz mehr schaden als nützen wird - und "schützen" wird es Sexarbeiter*innen sicherlich nicht. Leider ist das Gesetz trotzdem 2016 verabschiedet worden und am 1. Juli 2017 in Kraft getreten.
Unsere Position ist aber weiterhin klar: Keine Zwangsregistrierung von Sexarbeiter*innen, sondern Ausbau der freiwilligen, anonymen und kostenlosen Beratungs- und Unterstützungsangebote.