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Pur oder Hur? Liebe oder Sex?

Machen wir uns nichts vor: Die Menschheit lebt immer noch im tiefsten Patriarchat. Dieses System, was sich als „Zivilisation“ bezeichnet, begann mit der Zerstörung einer femininen Kultur, die sich von den Bonobos ableitete: Konflikte wurden mittels Zärtlichkeiten und Sex gelöst. Männer schmückten sich und boten sich Frauen als Sexualobjekte an. Der Phallus mitsamt des Körpers war Spielzeug zur Befriedigung orgastischer Begierde. Wahrlich paradiesische Zustände.

Kein Wunder, dass Lilith und deren Töchter, die viele Männer zu ihrer Befriedigung um sich hatten, sich nicht von einem männlichen Gott diktieren lassen wollten, in welcher Form Sex stattfinden sollte und sich einem „Adam“ zu beugen.
Leider siegten die bewaffneten Jägerkulturen gegen die matrilokalen Sammler*innen, Liebes – und Fruchtbarkeitsgött*innen. Ischtar und Lilith und viele weitere feminine Gottheiten wurden von maskulinen Göttern bezwungen und zu Ungeheuern gemacht. Und nicht nur das: Das menschliche Grundbedürfnis nach sexueller Befriedigung wurde verpönt und mit Tabus belegt. Gemäß Wilhelm Reich ist dies die Ursache nicht nur von Psychopathologien, sondern auch von Kriegen und Grausamkeiten gegen die Gattung Mensch.

Doch: Noch bis weit ins Mittelalter hinein erhielt sich die Verehrung von „Mutter Erde“ und Sex liebenden Frauen sowie der Frau als Gebärender in Europa: „Sheela na gig“ prangt an vielen Kathedralen – insbesondere in Irland (siehe Bild).

Erich Fried hat in seinem Gedicht "Alte Andacht" Bezug auf die Sheelas genommen:

"Damit ich deinen Schoß
besser liebkosen kann
hast du ihn offengehalten
mit zwei Fingern
wie Ischtar und Lilith
und wie die steinerne oder
hölzerne Sheela
in alten irischen Kirchen
die ich früher erstaunt
vor Augen sah...."

Sheela na gig' war auch das Maskottchen der Gruppe „Nutten und Nüttchen e.V.“, die mit Hydra zusammen gegen die Stigmatisierung von Prostituierten und für deren ökonomische Absicherung  kämpfte. Ziel war letztlich, dass wir Frauen uns die Selbstbestimmung über unseren Körper alle Tätigkeiten, die wir mit ihm verrichten, neu erobern.

Es wird Zeit, dass das sexuelle Begehren und die Befriedigung unser aller Sinne wieder sinnliche Lebewesen aus uns Menschen macht. Dann können sich auch „Pur“ und „Hur“, „Liebe und Sex“ fröhlich vereinigen. Und nicht zu vergessen: Männer werden wieder zu knuddeligen Betthäschen, statt in die Endschlacht zu ziehen. Für einen geil-genussvollen und friedlichen Untergang des Patriarchats!

- Text von Sarah von Nutten & Nüttchen, die herzlichst Hydra gratuliert

Nutten & Nüttchen

Historischer Bericht einer Mitstreiterin

"Ich ging – um Frauen "von ganz unten" zu organisieren – in die Prostitution und arbeitete in verschiedenen Clubs. Ich kämpfte darin gegen Ausbeutung. Schnell wurde klar, dass ich mich organisieren musste und gründete deshalb 1976 mit anderen Frauen - die künstlerisch sehr begabt waren - "Nutten & Nüttchen e.V." Unser Programm: Alle Frauen sollten sich für Liebesarbeit und Sexdienste an Männern – von diesen – gut bezahlen lassen. Unsere kabarettistisch-provokanten Auftritte sowie Forderungen & Programmatik waren für die Berliner Frauenbewegung Neuland und stieß auf Unverständnis bis Ablehnung. Dies insbesondere, weil die Lesben zu diesem Zeitpunkt darin dominierten, die wiederum propagierten, dass Sex mit Männern unfeministisch sei. Dennoch bekamen wir von einigen Feminist*innen Unterstützung. Unser Treffpunkt war die Bar „Pelze“ in der Potsdamer Str. Besondere Unterstützung erfuhren wir durch die grandiose Mahide Lein von der "Pelze-Bar" und wurden zu einem Kleeblatt, d.h. traten zu viert auf. Eine von Halina Bendkowski organisierte Versammlung lockte jedoch ca. 100 Interessierte an, mit Pieke Biermann machten wir ein Straßenevent und so wurden wir dann doch stärker in der Frauenbewegung aufgenommen. Mit dadurch bedingt wurde darin auch das Thema Prostitution stärker thematisiert.

Wir orientierten uns an „Lohn für Hausarbeit“ von Mariarosa Della Costa und Selma James. Auf der realpolitischen Ebene innerhalb der Hurenbewegung – die bundesweite Kongresse machte - kämpfte ich für einen existenzsichernden Grundlohn. Gemeinsam mit Hydra organisierten wir Versammlungen von Prosties. (Der Begriff „Sexarbeiter*innen“ wurde noch nicht benutzt)

Unsere Texte und Gedichte wurden in „Tanzende Lichter im Schatten“ sowie in „Die Palette 9“ publiziert.

Ich hörte nach einem Mordversuch an mir mit dem "Anschaffen" auf und nahm das Ausstiegsprogramm des damaligen Sozialsenates an. Am 2. Juni 1989 gab es das Highlight des Besuches von "Mireille" aus Frankreich und die Ausrufung des "Internationalen Hurentages". Ich nahm daran teil und habe mich sehr darüber gefreut, habe ihn jedoch nicht mit organisiert. Die Gedenkveranstaltung fand in einer Kreuzberger Kirche statt."